Es herrscht gespannte Stille in der Cafeteria des Marienhaus Seniorenzentrum St. Anna. Etwa 40 Bewohnerinnen und Bewohner, Mitarbeitende zum Teil mit ihren Kindern sowie Kinder der Grundschule Hoppstädten-Weiersbach hören gebannt Florian Ludwig zu. Bekleidet mit einem langen goldenen Mantel trägt er das Märchen „Schneeweißchen und Rosenrot“ vor. Damit zieht der ausgebildete Schauspieler die Zuhörenden in seinen Bann. Die Senioren kennen das Märchen und auch die Kinder stimmen laut mit ein bei „Es war einmal …“ und „wenn sie nicht gestorben sind …“.
Märchen gehören zu den tiefsten und nachhaltigsten Eindrücken, die ein Mensch erfahren kann. Und diese Eindrücke, bleiben nachhaltig im Gedächtnis. Ganz besonders Menschen mit einer dementiellen Erkrankung profitieren von diesen altbekannten Geschichten. Sie öffnen bei ihnen sanft die Tür ins Langzeitgedächtnis. Deshalb beteiligt sich das Marienhaus Seniorenzentrum St. Anna an dem Projekt „Es war einmal … Märchen und Demenz“. Diese in Deutschland einzigartige Maßnahme wird von der Märchenland, Zentrum für Präventionsmaßnahmen und Gesundheitsförderung GmbH & Co. KG initiiert und von der Gesundheitskasse AOK Rheinland-Pfalz/Saarland gefördert. Professionelle Märchenerzähler wie Florian Ludwig kommen in stationäre und teilstationäre Pflegeeinrichtungen und schenken den Bewohnerinnen und Bewohnern einige schöne Stunden und Momente.
Diese positive Wirkung von Märchen auf demenzerkrankte Seniorinnen und Senioren wurde in verschiedenen wissenschaftlichen Studien erforscht und belegt. Märchen aktivieren nicht nur das Langzeitgedächtnis, sie fördern das Wohlbefinden und die kognitiven Fähigkeiten der Bewohner und Gäste. Deshalb endet das Projekt nicht nach den vier Märchenstunden. In den kommenden Monaten werden Mitarbeitende des Seniorenzentrums geschult. Sie lernen, Märchen zu interpretieren und zu erzählen. Dafür kommt Florian Ludwig, der speziell für das Märchenerzählen bei Demenzerkrankten ausgebildet ist, erneut ins Seniorenzentrum. Das für die Schulung notwendige Material bringt er in Form eines eigens dafür angelegten Märchenland-Koffers mit, der ein Märchenbuch, ein Memory, Ausmalblätter, Audio-CD und DVD enthält. Am Ende dieser Schulung sind die Teilnehmenden zertifizierte Märchenvorlesende und können die Märchenstunden in Eigenregie weiterführen. Für die Bewohnerinnen und Bewohner werden das Highlights sein, auf die sie sich sehr freuen.
Die Märchenstunde an diesem Nachmittag hatte noch die Märchen „Der gestiefelte Kater“ und „Die Bremer Stadtmusikanten“ im Gepäck. „Auch Bewohner, die sonst aufgrund ihrer Demenzerkrankung sehr unruhig sind, hören bei den Erzählstunden ruhig zu“, freut sich Einrichtungsleiterin Tanja Feis über den Erfolg des Projektes. Manche Seniorinnen sprechen den Märchentext leise mit. „Wir halten uns bewusst an die Originaltexte der Märchen“, erläutert Schauspieler Florian Ludwig. Denn gerade diese von Kindheit an eingeprägten Sätze öffnen so manche Erinnerungstür. In Hoppstädten-Weiersbach freut man sich noch auf weitere Märchenstunden mit Florian Ludwig und auf die, die dann zwei Mitarbeiterinnen vom Sozialen Dienst anbieten werden. Ideen, dieses wunderbare Projekt umzusetzen und fortzuführen, haben beiden, die die Schulung zur Märchenerzählerin absolvieren, schon einige.